RESET - Alles auf Anfang

Jeden Tag fahre ich mit dem Fahrrad an einem großen Bürogebäude vorbei. Zuerst fiel es mir nicht so auf, aber irgendwann mal sah ich es mir genauer an. Es was sehr verwahrlost und schon an einigen Stellen demoliert und beschmiert worden. Ich fand es aber eigentlich sehr schön. Es hatte eine sehr interessante Architektur und ein cooles Design. Seitdem dachte ich jedes Mal, wenn ich daran vorbei fuhr, darüber nach, was man alles damit anstellen könnte. Vielleicht ein Designhotel daraus machen? Oder eine Etage für Kunstausstellungen, eine für unterschiedliche Diskotheken und eine Do-it-yourself-Fläche etc. Es gab tausend Möglichkeiten, dieses Haus zu nutzen.

Vor einer Woche standen plötzlich große Maschinen vor dem Haus und Männer in orangefarbenen Westen rannten beschäftigt kreuz und quer. Sie fingen an das Gebäude ab zu reißen. Mein Gebäude! Mit dem ich doch noch so viele tolle Pläne hatte! Ich war wahnsinnig enttäuscht. Wer macht so was? Wer macht sich die Mühe, ein riesiges schönes Bauwerk, das noch nicht einmal alt ist, ab zu reißen?

Da hat sich jemand mal die Mühe gemacht, ein schönes Haus zu entwerfen und es gab bestimmt auch eine tolle Einweihungsfeier, auf der viele glücklich über die Fertigstellung waren. Und all das wird jetzt vernichtet. Mit großem Kraftaufwand. Es wird nicht nur lange dauern, es ab zu reißen, sondern auch bestimmt was kosten.

Zuerst dachte ich „Wie sinnlos! Warum machen sie das?“ und ich habe lange darüber gegrübelt.

Natürlich habe ich auch Parallelen zu den Beziehungen zwischen Mann und Frau gezogen. Eine neue Liebe entsteht, baut sich langsam auf und plötzlich wird alles umständlich wieder abgerissen.

Ich kam zu dem Entschluss, dass es entweder mit verseuchter Bausubstanz gebaut wurde und das Gebäude komplett gesundheitsgefährlich sein musste, oder dem neuen Käufer kein Glück bringen würde.

Gegen beides habe ich keine Argumente.

 

Mein Gebäude wurde auch mit viel Kraftaufwand abgerissen. Während dieser Zeit habe ich mich so viel wie möglich abgelenkt. Jetzt ist es so weit und ich lande langsam wieder auf der Erde. Aber eigentlich will ich nicht landen. Ich habe Angst. Hier oben schwebt es sich so schön. Aber ich muss landen. Weil ich zwei kleine wundervolle Kinder habe, mit denen ich eine glückliche Kindheit erleben möchte.

Ich habe bis jetzt Vollgas gegeben und alles dafür getan, um mich zu motivieren und um mein Selbstwertgefühl wieder zurück zu gewinnen. Ich habe sehr viel für mein Äußeres getan. Mindestens fünf Mal die Woche Sport und auf die Ernährung achten. Das werde ich auch weiterhin versuchen, aber nicht mehr so übertrieben. Weil ich einfach keine Lust mehr dazu habe. Ich möchte auch mal wieder fünfe gerade sein lassen können. So richtig schlemmen, mich gehen lassen und nur rumhängen und chillen. Ohne schlechtes Gewissen haben zu müssen, weil ich mich eigentlich extra anstrengen müsste um mit dem vorherrschenden Schönheitsideal mithalten zu können. Einfach die Angst los lassen.

Man kann nicht die ganze Zeit Vollgas geben. Irgendwann mal kommt immer eine Kurve, da muss man vom Gaspedal runter. Die Kurve ist jetzt da.

Ich fange zaghaft an, Dinge zu machen, die früher zu meinem Alltag gehörten und mir Spaß gemacht haben. Z. B. backen. Heute habe ich mit den Kids schwedische Zimtschnecken und Rosinenkekse gebacken. Die ganze Wohnung war warm und gefüllt mit einem herrlich süßen Duft und Kinderlachen.

Ich habe (ich übertreibe mal) einen Drittel von unseren Backwaren selber sofort aufgegessen. Einfach nur „weil ich es kann“. Ich stelle fest, dass dieses wundervolle Erlebnis keine von mir gespielte Perfekte-Mutter-Rolle war, sondern einfach nur ich. Und das macht mich glücklich.
Ich fühle mich in meinem neuen Leben noch sehr wackelig auf den Beinen, aber glücklich.

 

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